„Unser Ziel ist nicht, unendlich zu existieren, sondern wir wollen unseren Vereinszweck möglichst schnell erreichen“, so umreißt Alexander Kirchner den Ansatz des Vereins „Sozialmaut e.V.“.
Der Vereinszweck steht schon im Titel: so wie die bestehende Lkw-Maut dazu dient, die Infrastruktur in Schuss zu halten, so soll eine Sozialmaut geschaffen werden, um Abhilfe bei den größten Mängeln zu verschaffen, unter denen Lkw-Fahrer in Deutschland leiden: kostenloser Zugang zu frischem Wasser, Duschen, Toiletten, ggf. medizinische Versorgung und soziale Betreuung an den Wochenenden. Dafür sollen die Spediteure pro gefahrenem Kilometer 1 Cent in einen Fonds einzahlen.
Das soll möglichst noch in dieser Legislaturperiode geschehen. Im Koalitionsvertrag haben sich die Ampel-Parteien vorgenommen, „bessere Sozialstandards und Arbeitsbedingungen“ für die Beschäftigten im Straßengüterverkehr durchzusetzen. Und mit Wirkung zum 1. Dezember 2023 soll die Lkw-Maut erheblich erhöht werden. Hier sieht der Verein einen Ansatzpunkt. Allerdings braucht es für die Sozialmaut ein eigenes Gesetz, weil die bestehende Maut nach europäischem Recht für die Infrastruktur verwendet werden muss. „Wir dürfen aber“, sagt Alexander Kirchner, „nicht nur an die Infrastruktur denken – sondern auch an die Menschen, die auf ihr unterwegs sind.“
Und da liegt einiges im Argen, wie auf der ersten ordentlichen Mitgliederversammlung von Sozialmaut e.V. Mitte Mai in Fulda deutlich wurde. Anna-Christine Weirich vom Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“ des DGB berichtete von ihren Begegnungen mit Lkw-Fahrern vorwiegend aus Osteuropa. „Viele kommen zu uns, weil sie gekündigt wurden und ihnen dann der letzte Lohn vorenthalten wird.“ In den anknüpfenden Beratungsgesprächen kommen dann immer wieder eine Reihe von Problemen zutage. So werden die Fahrer gezwungen, Verträge zu unterschreiben, die sie nicht verstehen; Krankheitszeiten werden als unbezahlter Urlaub gewertet; die Fahrer werden zu falscher Arbeitszeitdokumentation gezwungen; ihnen wird Lohn abgezogen z.B. bei zu hohem Dieselverbrauch. Und immer wieder kommt der Mangel an Parkplätzen zur Sprache. „Viele verbringen ihre Pausen an den Wochenenden unter unmöglichen Umständen. Eine angemessene Erholung ist so nicht möglich, die Fahrenden werden damit zu einer Gefahr.“
Unter diesen Umständen ist der Zugang zu Frischwasser besonders wichtig: nicht nur als Trinkwasser, auch zum Duschen und Waschen. Gerade dieser Zugang ist aber ein Problem in Deutschland. Polnische Fahrer berichten, dass sie ihre Kanister in Polen auffüllen – in Deutschland gebe es kaum Frischwasserzugänge, beim Raststättenbetreiber Sanifair dürften die Fahrer kein Wasser zapfen, es sei denn, das Personal drückt beide Augen zu. Zwar gibt es privat betriebene Parkplätze, die diese Leistungen allerdings nur kostenpflichtig anbieten. „Und wenn man pro Übernachtung 20 Euro und dann 7 Euro für eine Dusche bezahlt, kann man sich ausrechnen, was von dem ohnehin geringen Lohn der Lkw-Fahrer übrigbleibt“, so Sozialmaut-Vorsitzender Alexander Kirchner. „Hier wollen wir für einen ganz bestimmten, klar umrissenen Teil des Gesamtproblems Abhilfe schaffen.“
Mitglieder von Sozialmaut e.V. sind Gewerkschafter:innen, aber auch unsere Schwestergewerkschaft ver.di und der Verein mobifair als juristische Personen. Und auch Betroffene, so Tiny Hobbs, selbst Lkw-Fahrer. „Wir müssen aufzeigen, dass sich die Supermarktregale nicht von selbst füllen“, sagt der ver.di-Kollege. „So wie wir im Supermarkt jederzeit Nudeln und Kaffee kaufen können, so müssen die Fahrer auf jedem Rastplatz und in jedem Industriegebiet die Möglichkeit haben, an Wasser zu kommen, sich waschen und duschen zu können. Das muss einfach selbstverständlich sein.“
3 Fragen an…
Alexander Kirchner.
Alexander, wie würdest du den Ansatz des Vereins Sozialmaut charakterisieren?
Zunächst mal, wir sind keine Ersatz-Gewerkschaft. Wir suchen auch nicht den direkten Kontakt zu den Fahrern, um sie zu informieren oder zu betreuen, das können andere besser. Vielmehr sehen wir uns als politische Lobbyisten: Wir wollen erreichen, dass die Bundesregierung ein bestimmtes Gesetz erlässt. Wenn die Spediteure über die Lkw-Maut für die Infrastruktur, die sie nutzen, bezahlen, dann können sie auch für die sozialen Rahmenbedingungen zur Kasse gebeten werden.
Inwiefern seid ihr denn als Lobbyisten bisher schon tätig gewesen?
Wir haben schon viele politische Gespräche geführt, insbesondere mit Bundestagsabgeordneten der Koalitionsfraktionen, die sich mit Arbeits- und Sozialbedingungen befassen. Denn wir wollen, dass der Bundestag aus sich heraus ein solches Gesetz auf den Weg bringt. Und natürlich müssen wir an die Arbeitgeber ran, denn wir wollen ja, dass sie die Maut finanzieren. Da verlief ein Gespräch mit dem Bundesverband Güterverkehr und Logistik überraschend positiv. Dieser Arbeitgeberverband wünscht natürlich keine Erhöhung der Maut. Aber wenn es per Gesetz nun ohnehin zu einer Fast-Verdoppelung der Maut kommt, dann wären sie bereit, auch unseren Vorschlag mitzutragen.
Ein großer Teil der Maut-Mehreinnahmen soll ja in die Schiene fließen. Siehst du als Bahn-Gewerkschafter hier einen Zielkonflikt?
Viele Vereinsmitglieder sind Eisenbahner:innen. Wir begrüßen, dass frisches Geld aus der Lkw-Maut in die Schiene fließen soll. Aber wir müssen auch an die Menschen denken, die weiterhin auf Beton unterwegs sind und dafür arbeiten, dass unsere Supermarktregale gut gefüllt sind.